Montag, 2. April 2007
Veliki Post ... eine Hochzeit ...Rußland erhält Anschluß an WEB 2.0 ... jedenfalls in Moskau ... abschließend Kätzchensonntag
Veliki Post

„Veliki Post“ hat nichts mit der Post zutun, oder jedenfalls nur bedingt, wenn es nämlich um Osterpostkarten geht. Aber die schreibt man ja kaum noch, weder in Deutschland noch hier in Rußland, ein Griff zum Telefonhörer ist einfacher oder man nutzt Email - oder Internetpost, wie ich es neulich einmal gehört habe.
„Veliki Post“ ist die russische Bezeichnung für „das große Fasten“ dem sich die Nation 40 Tage vor den Osterfeiertagen hingibt, oder auch nicht.
In diesen 40 Tagen des orthodoxen Kirchenkalenders soll der Rechtgläubige fasten. Das heißt, kein Fleisch, keine Milchprodukte, kein Fisch, keine Eier - dazu kommen wir gleich - und natürlich, und das ist am schmerzlichsten, kein Alkohol. Die Gläubigen sollen sich so auf die eigentliche Karwoche vorbereiten. Das große Fasten hat an Ostern, dem eigentlich wesentlichen orthodoxen Kirchenfest - also nicht Weihnachten wie bei uns - ein Ende. Und dann darf es wieder in die Vollen gehen.
Aber nun zum Fasten. Ich kenne kaum jemanden der sich streng an die kirchlichen Regeln hält, hier ein Schlückchen und Pelmeni - die russische Variante der Ravioli - ist eigentlich auch schwer vorstellbar ohne all das was man in der Fastenzeit nicht essen soll. Nur die Witze über die Armeeverpflegung passen zur Fastenzeit, zwei Menüs gibt es auf der Speisekarte der russischen Armee, Wasser mit Kohl und ... Kohl mit Wasser. Ob das heute allerdings auch noch so ist, keine Ahnung.
Ganz findige Marketingstrategen haben jetzt „fastenfreundliche“ Mayonnaise entdeckt und preisen dieses neueste Produkt an. Fastenfreundliche Mayonnaise? Genau, die ohne tierische Fette eben. Also bei aller Freundschaft, aber Mayonnaise ohne Ei kenne ich kaum. Auch wenn im Massenprodukt wohl eher nur Eipulver stecken dürfte, aber Ei ist Ei, flüssig oder getrocknet, vollkommen Wurscht - und auch die dürfen wir in der Fastenzeit ja nicht essen. Und welche tierischen Fette ich wohl sonst der in Rußland allgegenwärtigen Mayonnaise zusetzen soll - Rindertalg vielleicht?? - bleibt mir auch schleierhaft. Also fastenfreundliche Mayonnaise? War wohl nichts. Egal, der Kunde kauft‘s und das ist das Wesentliche und an Ostern ist sowieso alles egal, mit Ei, trocken, flüssig, sonstige Flüssigkeiten, nächsten Sonntag ist alles überstanden.

Die „kleine Hochzeit“ im Hof

Wer es noch nicht weiß, Rußland ist ein Multi-Kulti-Staat. Mehr als einhundert verschiedene ethnische Gruppierungen, von denen die Russen die größte Gruppe stellen, leben auf dem Staatsgebiet der Russischen Föderation. Hinzukommen noch größere Gruppen ausländischer Staatsangehöriger aus den ehemaligen Republiken der UdSSR die sich auf dem Territorium aufhalten. Kasachen, Usbeken, Georgier, Armenier und Azerbaijaner bilden einen Teil der russischen Wirklichkeit und des russischen Wirtschaftslebens.
Unsere azerbaijanischen Nachbarn hatten gestern eine „kleinere“ Hochzeit. Um die 30 Pkws verstopften den Hof bis die Braut und der Bräutigam unter den wachsamen Augen der Nachbarn in einem VW Touareg verschwanden und die ganze Hochzeitsgesellschaft unter Hupkonzert den Hof räumte. Gefeiert wurde wohl in einem der Restaurants von Tver.

Zaungaeste

Zaungäste

Internetnutzung in Rußland

Doch bevor wir uns dem eigentlichen Thema zuwenden zunächst einige Daten zum Thema Telekommunikation und Internetnutzung in Rußland allgemein. Nach einem Regierungsprogramm sollen bis zum Jahre 2008 auch die letzten menschlichen Siedlungen in Rußland an das Telefonnetz angeschlossen werden, http://www.minsvyaz.ru/ministry/1981/1993/1997/. Auch die Schulen sollen alle einen Zugang zum Internet erhalten. Die Nutzung von Mobiltelefonen ist in Rußland, dessen Territorium von drei Mobilfunkbetreibern in großen Teilen abgedeckt wird, sehr verbreitet. Die Konkurrenz zwischen den Mobilfunkbetreibern einerseits und die fallenden Preise für Endgeräte andererseits haben Mobilfunk für weite Teile der Bevölkerung erschwinglich gemacht und das „Handy“ klingelt heute in der entferntesten Tundra, vornehmlich bei Jüngeren, die auch von weiteren Segnungen der Zivilisation wie Klingelton-Abos nicht verschont werden.

Per 5. März 2007 sollen in Rußland 22.300.000 Internetnutzer vorhanden sein, das wären 15,5 % der Bevölkerung, http://www.internetworldstats.com/euro/ru.htm. Damit ist weder etwas über die Zusammensetzung der Gruppe der russischen Internetnutzer gesagt, auch die Art und Weise mittels derer das Internet hier genutzt wird, oder mit welcher Häufigkeit die User auf das Internet zugreifen, bleibt offen.

Daher hier einige Anmerkungen. Abgesehen von den großen urbanen Zentren Moskau und St. Petersburg und noch 3 bis 4 anderen Städten ist das Land nämlich trotz anders lautender offizieller Bekundungen, die wohl eher wunschhaftem Denken entspringen, noch digitales Brachland. Das heißt der Internetzugriff erfolgt meistens entweder vom Arbeitsplatz aus oder bei Studenten von der Universität aus. Häusliche Breitbandanschlüsse mit Flatrate gehören in den meisten Fällen außerhalb Moskau und St. Petersburg noch zu den Träumen russischer Internetuser oder sind gemessen am Einkommensniveau zu teuer um sich flächendeckend durchzusetzen. Wenn und soweit heute häusliche Internetanschlüsse genutzt werden so handelt es sich dabei in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle um Zugriff mittels dial-up-Verfahren und Telefonmodem. Dadurch und durch die schwankende Übertragungsqualität der Telefonleitungen ist die Bandbreite für Internetanwendungen die eine hohe Bandbreite voraussetzen natürlich begrenzt und Anwendungen wie Internettelefonie (VoIP) oder Video- oder Audiostreaming als auch Podcasting mit RSS Feed sind in russischen Provinzstädten zur Zeit nur sehr begrenzt nutzbar.

Rußland erhält Anschluß an WEB 2.0

So nun zum „WEB 2.0“ unter besonderer Berücksichtigung der russischen Internetwirklichkeit. Was ist eigentlich WEB 2.0? Dazu habe ich mal eine kurze und m.E. recht gute Definition in einem marketingorientierten Podcast gehört. Dort hieß es sinngemäß „WEB 2.0 ist wenn sich jeder Depp im Internet wichtig machen kann.“ Das trifft ja auch auf mich zu, also ich bin ein Teil von WEB 2.0, wie schön. Also was ist WEB 2.0 nun wirklich ? Wer es genauer wissen will, der sei auf das Internetnachschlagewerk „Wikipepedia“ verwiesen.

Dort heißt es u.a. „Der Begriff Web 2.0 beschreibt eher vage eine veränderte Wahrnehmung und Benutzung des WWW. Hauptaspekt aus organisatorischer Sicht: Benutzer erstellen und/oder bearbeiten im Internet bereitgestellte Inhalte in zunehmendem Maße selbst. Typische Beispiele hierfür sind Wikis, Weblogs sowie Bild- und Video-Sharing-Portale.
Der als Marketing-Schlagwort eingeführte Begriff hatte relativ großen Widerhall in den Medien. Web 2.0 existiert nicht wirklich (anders als z. B. eine bestimmte Software-Version), sondern bezeichnet am ehesten das Zusammenwirken verschiedener Technologien und eine vermutete bzw. kommerziell/werblich gewollte Entwicklungsrichtung. Die beteiligten technischen Mittel können im Einzelnen unbedeutend erscheinen. Daher wird auch kritisiert, der Begriff sei unscharf und nahezu beliebig verwendet („Schlagwort“), um die Popularität von Angeboten oder Techniken zu fördern oder Trends wichtig oder gar revolutionär erscheinen zu lassen.
Aus technischer Sicht bezeichnet Web 2.0 oft eine Kombination bereits Ende der 1990er Jahre entwickelter Techniken, die durch die große Zahl breitbandiger Internetzugänge erst jetzt großflächig verfügbar sind.„ Näheres findet Ihr unter http://de.wikipedia.org/wiki/Web_2.0.

Russian Podcasting

Podcasting auf dem APPLE Event in Moskau

Am 22. März führte die Computerfirma APPLE im Moskauer Zentrum für Außenhandel eine Veranstaltung zu ihren Produkten durch. Ungefähr 250 bis 300 Teilnehmer trafen sich zu dem Event. Vorgestellt wurden Programme zur Bearbeitung von Fotos, zu digitaler Videobearbeitung und ... zum Podcasting. Gezeigt wurden mehrere Programme, u.a. Garageband, Version 3, bei dem eine Funktion zum erstellen von Podcasts schon eingebaut ist. Man darf gespannt sein.
Natürlich habe ich die Gelegenheit genutzt mich über das Thema “Podcasting in Rußland„ sachschlau zu machen. Unter der Bezeichnung “Russian Podcasting„ findet man einiges zum Thema Podcasts aus Rußland. Bei einem Gespräch mit einem der anwesenden Podcaster kamen folgende Themen zur Sprache:

1. Anzahl “ernst zu nehmender„ Podcasts
Trotz eines derzeitigen Angebots von über zweihundert Podcasts auf diversen russischen Sites, kann die Mehrzahl der russischen Podcasts zur Zeit leider noch kaum als “erwachsen„ bezeichnet werden. Vielfach handelt es sich um Podcasts die Anekdoten verbreiten oder sich auf höchst fragwürdigem Niveau bewegen. Darüber hinaus sind viele Podcasts auch nicht via RSS-Feed abonnierbar sondern werden entweder als Download angeboten oder als höchst stotternder Stream mit geringen Transferraten verbreitet. Nach Ansicht meines Gesprächspartners sind zur Zeit ca. 10 russische Podcasts online die thematisch so orientiert sind, daß man sie als ernsthafter bezeichnen könnte. Rußland steht im Podcasting leider noch in den allerersten Windeln.

2. Podcasting als “Wissensvermittlung„
Auch in der EU steht Podcasting als Wissensvermittlung erst in den Anfängen. Die Financialtimes Deutschland hat z. B. einen Business-Englisch Podcast und Medienriesen wie die BBC nutzen ihren Content weiter und verbreiten ihn auch als Podcast ebenso wie die Tagesschau. Erste Ansätze Podcasts auch im universitären Lehrbetrieb zu nutzen stecken in der EU noch in den Kinderschuhen und Rußland ist davon noch um Lichtjahre entfernt obwohl das Angebot von Fernstudienlehrgängen an hiesigen Universitäten um ein Vielfaches größer ist als an deutschen Universitäten. Die Vermittlung von Lehrinhalten mittels Podcasting würde sich daher umso mehr anbieten. Aber die technischen Gegebenheiten setzen diesem Ansatz zur Zeit seine Grenzen.

Russian podcast in action

3. Business Podcasting
Auf Grund der geschilderten technischen Rahmenbedingungen hat Podcasting seinen Weg von den urbanen Zentren meist noch nicht in die Provinz gefunden. Podcasting als Teil der Unternehmenskommunikation existiert in Rußland zur Zeit ebenfalls faktisch nicht, also reichlich Betätigungsfelder für die Zukunft. Auch das Thema “Podcasts in Marketing und Businesskommunikation„ das im Westen langsam aufkeimt, z.B. auf einer meiner Lieblingspodcasts unter http://www.pimpmybrain.de von Alex Wunschel in München, ist in Rußland noch kein Thema. Darüber hinaus öffnet sich leider der “Digital Divide„ zwischen Moskau und St. Petersburg einerseits und den regionalen Zentren in der Provinz andererseits immer weiter wenn und soweit die lokalen Gouverneure in Kooperation mit der Föderation nicht nur entsprechende Entwicklungsprogramme aufsetzen sondern diese auch gegen den Widerstand lokaler gut verdienender Telefonnetzbetreiber durchsetzen.

4. Podcasting als Alternative zu den sonstigen Massenmedien
Obwohl aus einer oberflächlichen westlichen Sichtweise die Massenmedien Rußlands als ziemlich “eingeebnet„ erscheinen mögen, und die “Schere im eigenen Kopf„ so manches Journalisten dafür sorgt daß diese Einheitlichkeit erhalten bleibt, gibt es in Rußland, dem Land der “gelenkten Demokratie„ auch abweichende Meinungen in den Massenmedien.
Podcasting hingegen böte die Möglichkeit konträre Meinungen zu Gehör zu bringen. Dem stehen aber neben den begrenzten technischen Möglichkeiten auch das Fehlen einer Oppositionskultur einer “bürgerlichen Gesellschaft„ entgegen. Wenn und soweit Podcasting zur Zeit als eine Art Alternativmedium genutzt wird, so werden solche Podcasts von im Ausland aufhältlichen russischen Staatsbürgern mit hohem inhaltlichen und technischen Niveau gemacht.

5. Der Bundeskanzlerinnen-Podcast
Wer es noch nicht weiß, unsere Bundeskanzlerin, Angy, hat einen eigenen Podcast in dem sie die Nation auf dem laufenden hält. Man mag davon halten was man will. Technisch gesehen ist Frau Kanzler aber auf der Höhe der Zeit - auch wenn der Start etwas holperte. Einen Putin-Podcast aus dem Kreml wird man zur Zeit vergebens suchen. Dafür hält der Präsident jährlich eine “erweiterte Sprechstunde„ für alle Bürger. Fragen können per Telefon, per SMS und auch auf einer eigens eingerichteten WEB Site hinterlassen werden. Bei der letzten “Bügersprechstunde„ im Juni 2006 wurden mehr als 162.000 Fragen übermittelt. Die Fragestunde ist sehr populär aber nicht allzu beliebt bei Bürokraten, denn es besteht die Gefahr daß das Handeln des einen oder anderen zur Debatte steht. Darüber hinaus hat der Präsident, http://www.kremlin.ru/eng, eine nicht zu verachtende WEB Site für Kinder - auf Russisch versteht sich, in dem er über den föderalen Aufbau Rußlands und die Geschichte Rußlands ebenso informiert wie über die Frage “Wer ist wichtiger für Dich, der Präsident oder Deine Mama?„. Die richtige Antwort auf diese Frage ist übrigens nicht wie manche vermuten mögen “der Präsident„, sondern “Deine Mama„. Ach ja, und die WEB Site setzt, leider, auch einen schnelleren Internetzugang voraus wenn sie richtig Spaß machen soll, leider. Hier der Link http://www.uznai-prezidenta.ru/index.php, wer des Russischen nicht mächtig ist und eine schnelle Internetverbindung hat klicke bitte auf den linken Button, viel Spaß.

Putins KinderWEBsite

6. Zusammenfassung
Ist WEB 2.0 in Rußland angekommen? Jedenfalls auf der Titelseite der aktuellen “Computer-Bild„, richtig gelesen, “Computer-Bild„. Dieses Erzeugnis aus dem Hause Axel Springer ist in Rußland angekommen, wenn das Axel wüßte. Wie dem auch sei, WEB 2.0 als Inbegriff verschiedener WEB-Technologien “ist in Rußland angekommen„. Mit der Umsetzung hapert es aber aber. Einerseits fehlt die flächendeckende Versorgung mit kostengünstigen Breitbanddiensten und auf der anderen Seite fehlt die “bürgerliche Gesellschaft„ die WEB 2.0 als Kommunikationschance und -kultur begreift und dementsprechend umsetzt.Aber, ein Anfang ist gemacht.

Computerbild in Rußland

Endlich auch in Rußland - Computerbild

Kätzchen-Sonntag
Na ja, und zum Abschluß sei es noch verkündet, heute ist “Kätzchen-Sonntag„. Das hat nichts mit Katzen zutun sondern damit daß die orthodox Gläubigen heute mit Weidenkätzchen in die Kirche gehen um des Einzugs Jesu in Jerusalem zu gedenken. Diese Kätzchen stehen dann später in einer Vase hinter der Hausikone und gelten als wundertätig, so sollen sie z.B. alles Übel im Hause vertreiben. Ok, wenn‘s hilft, warum nicht.
Nächsten Sonntag ist dann endlich Ostern DAS orthodoxe Kirchenfest, doch dazu mehr in der nächsten Ausgabe, bis dahin Euch allen schon einmal ein Frohes Osterfest, oder wie man hier sagt “Christos vozkhresje„.

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