Dienstag, 24. Oktober 2006
Generation Praktikum ... brauchst Du einen Arbeitsmann ... schaff Dir nen Praktikanten an ... aber ohne Bezahlung versteht sich
Eigentlich ist das ja ein Blog über das Leben und die Lebensbedingungen in Rußland. Aber da sich Deutschland und Rußland nicht nur einander annähern sondern aus meiner Sicht manchmal zum Verwechseln ähnlich sind, greife ich auch einmal Themen aus Deutschland auf die mir erwähnenswert erscheinen. Heute ist es die "Generation Praktikum" die sich seuchenartig auszubreiten scheint und über die ich hier deshalb schreiben will.

Damit man das Thema richtig einordnen kann möchte ich erst einmal ein paar Fakten zur Lage der abhängig Beschäftigten in Rußland machen und dabei den Bereich des Einzelhandels als "glorreiches" Beispiel nutzen um zu zeigen welches "Potential" noch im "Praktikum" steckt und wie man die Leute unter dem Mantel der Praktikumsvergabe sonst noch ausbeuten könnte.

Wie läuft das da so in Rußland? Und bald vielleicht auch in Deutschland?

Im allgemeinen hat das Personal im Einzelhandel eine (bei uns würde man sagen mittlere) Berufsausbildung die an einer "Berufsschule" erworben wird. Im Gegensatz zum deutschen sog. dualen Bildungssystem in dem sich Berufsschule und Arbeit in einer Lehrstelle ergänzen, ist das russische System ein reines Schulsystem mit integrierten (aber nicht allzu langen) Praktika wobei sich die Auszubildenden ihre Praktikaplätze selbst besorgen müssen (und dafür während des "Praktikums" natürlich keinerlei Vergütung bekommen, warum auch?)

Die Bezahlung im Einzelhandel ist schlecht, Löhne erreichen die "Höhe" von bis zu 7.000.- Rubel was einem Euro Betrag von 200 - 220.- Euro gleichkommt. Da Wohnung, Strom, Gas usw. bis zu 60 % des Verdienstes ausmachen, kann man sich vorstellen was sonst noch zum "Leben" - hatte ich Leben gesagt? - bleibt. In den ersten Monaten arbeiten die Leute meist ohne Vertrag (so als "Praktikum") und bekommen von dem zugesagten "Lohn" oft nur bis zu 60 %, schließlich sind sie ja noch in der "Probezeit". In offiziellen Lohnlisten tauchen sie entweder garnicht auf oder wenn sie dort geführt werden dann werden sie oft mit dem gesetzlichen Minimallohn aufgeführt.

So war neulich im Fernsehen ein Bericht zu einer Razzia in einem Casino (ok, nicht "Einzelhandel"") zu sehen.

In diesem Moskauer Casino erhielt der Mitarbeiter ein "Gehalt" von 1.500.- Rubel. Der Rest wird - wen verwunderts - "schwarz" gezahlt. Und nach dem gleichen Strickmuster läuft es auch im Einzelhandel, mit Ausnahme der "Praktikanten", "Probezeitler" usw. usf. Damit das Bild sich abrundet muß man noch hinzufügen, daß Warenverluste durch Verderb, Diebstahl (nicht selten der leitenden Angestellten) und Fehldisposition der Geschäftsleitungen auch noch vom Lohn einfacher Mitarbeiter einbehalten werden. Da können sich deutsche Unternehmer noch was abgucken.
Nun genug zur Situation in Rußland. Was hat das alles mit Deutschland zutun? Nun, ich bin in einer elektronischen Mailingliste und zunehmend sehe ich dort die Angebote von "Praktikumsplätzen", etwa wie dem folgenden :

Praktikum (unbez.) (!!!!!!) für internationales Kunst-Ausstellungsprojekt in Berlin

Für eine Ausstellung zum Thema ......., die im September nächsten Jahres am Künstlerhaus Bethanien (Berlin) eröffnet wird ....., wird ein zeitlich flexibles - oh wie schön, das Sklaventum wird also zeitlich flexibel, da unterscheiden wir uns ja schon vom Sklaven des alten Ägypten - Praktikum angeboten.


Inhalt des Praktikums ist die Mitarbeit an sämtlichen Tätigkeiten, die im Vorfeld einer Ausstellung und einer wissenschaftlichen Katalogerarbeitung anfallen:

- Recherche zu Künstlern und ihren Aktivitäten
- Mitarbeit an den Verhandlungen mit
Projektpartnern
- Verfassen von Kurztexten für die Ausstellung
- Akquise zusätzlicher Sponsorenleistungen und
Medienpartnern
- Einholen von Bildrechten für die Publikation
- Korrespondenz und Leihverkehr mit Künstlern,
Leihgebern, Museen und Galerien
- Vorbereiten der Materialien für Presse- und
Öffentlichkeitsarbeit
- usw.

Gesucht wird ein Praktikant/eine Praktikantin, der/die Interesse an Kunst und Kultur der 60er bis 80er Jahre mitbringt (sehr gerne Kunstwissenschaftler mit Schwerpunkt ....., möglichst osteuropäische Sprachkenntnisse (besonders willkommen: Ungarisch!, aber auch Tschechisch, Polnisch, Litauisch) und Eigeninitiative. Die oder der Interesse hat an allen Bereichen des Kulturmanagements und an selbständiger verantwortungsvoller Tätigkeit.

Wir bieten ein Praktikum für mindestens zwei Monate, das auf Wunsch auch zeitlich flexibel durchgeführt werden kann. Der/die Praktikant/ in erhält einen intensiven Einblick in die Organisation eines internationalen Ausstellungsprojekts und in die Arbeit mit Künstlern. Wir vermitteln Kenntnisse in Ausstellungsmanagement, Öffentlichkeitsarbeit, Fundraising, Lektorat.

... zahlen nix, also beste Bedingungen ... das hat die anbietende Dame vergessen. Meine Position dazu ist ganz einfach.


Laßt Euch nicht länger diesen Quatsch gefallen, laßt Euch nicht unter dem Deckmantel des "Praktikum" für blöd verkaufen. Wer etwas leistet soll dafür auch etwas bekopmmen. Wenn keine Kohle da ist dann kann man eben auch keine Aktivitäten durchführen. So einfach ist das. Wenn man in Deutschland noch nicht ganz auf Dritt-Welt-Niveau fallen will dann muß mit der "Praktikanten"-Prostitution ein Ende gemacht werden.

Ich hoffe daß noch nicht alle ganz den gesunden Menschenverstand an der Theke abgegeben haben.

In diesem Sinne - ein sehr wütender - Werner

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